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Mission Kosovo – Oktober 2014 / Teil 1

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Vom 01.-05. Oktober 2014 bereisten wir im Rahmen einer Hilfsmission der European Solidarity Front for Kosovo (ESFK) zum ersten Mal Kosovo und Metochien. Während unseres Besuches trafen wir Familien, Kinder und einfache Menschen, deren Schicksal uns tief beeindruckte. Der folgende Artikel eines unserer Aktivisten verdeutlicht metaphorisch dessen Eindrücke und versucht so ein Bild zu zeichnen, unter welchen Umständen die Serben im Kosovo heute leben.

Zugegeben, es gehört schon eine gesunde Portion Verrücktheit dazu mit Leuten, die man bis auf eine Ausnahme nicht kennt, in ein fremdes Land zu reisen. Zu fremden Menschen die man nie zuvor gesehen hat und ohne zu wissen, was einen dort erwartet. Was letzten Endes den Ausschlag gab, mich dieser Hilfsmission des tschechischen Ablegers der European Solidarity Front for Kosovo (ESFK) anzuschließen, bin ich rückblickend nicht in der Lage genau zu bestimmen. War es die Enttäuschung über die Unzuverlässigkeit, Lethargie und den bisweilen haarsträubenden Dogmatismus vermeintlicher Freunde und Weggefährten? War es die Tatsache, über ein viertel Jahr hautnah mitzuerleben, wie in unserem, vorwiegend von finanziellen Aspekten bestimmten Gesundheitssystem mit kranken und hilfsbedürftigen Menschen umgegangen wird? Ich war und bin fertig mit dieser Gesellschaft, in der man Andersdenkende hassen muss, um sich selbst zu den „Toleranten“ zählen zu dürfen.

Dušan und Mílan

Und nun saß ich hier – Reihe 11, Platz A – auf dem Flug von Frankfurt am Main nach Beograd, in 11.300 Metern Höhe und bei einer Außentemperatur von -56°C. Pünktlich erreiche ich am Dienstag zur Mittagszeit das Nikola-Tesla-Aerodrom, benannt nach dem berühmten serbisch-stämmigen Physiker, Ingenieur und Erfinder. Draußen wartet schon Dušan, der mich mit seiner Frau Jelena und ihrem kleinen Sohn herzlich in Empfang nimmt. Die Sonne scheint. Über die Autobahn verlassen wir Beograd in Richtung Sremska Mitrovica. Hier, in der römischen Kaiser- und Provinzhauptstadt Sirmium, sind die Räume eines kleinen gemütlichen Häuschens mein Quartier für eine Nacht. An den Wänden hängen wunderschöne Gemälde mit Motiven aus der serbischen Geschichte und Mythologie. Daneben die Heiligenikonen der serbisch-orthodoxen Kirche, wie man sie wohl in jedem Haus, aber auch in öffentlichen Gebäuden und Institutionen finden kann. Gemeinsam besuchen wir das Stadtzentrum, wo wir den Priester treffen, der uns ein Stück unseres Weges begleitet. Sein sanfter, aber fester Blick und sein mächtiger, für orthodoxe Priester typischer Bart wirken respekteinflößend. Dabei ist Mílan, wie er heißt, zwei Jahre jünger als ich.

Von Sirmium existieren heute nur noch Reste der Grundmauern. Man kann sie in einer großen Ausgrabungsstätte mit einem Modell der idealen Rekonstruktion besichtigen. Neben dem Kaiserpalast gehörten auch Aquädukt, Hippodrom, Stadtmauern und Zollstationen zur Infrastruktur der Siedlung. Die Ausstellung zeigt auch ausgegrabene Mosaike und Fresken, wie die des heiligen Dimitris, dem Namenspatron des heutigen Sremska Mitrovica. Wir gehen weiter und erreichen, vorbei an einer kleinen weißen Kapelle – der ältesten der Stadt – den ehemaligen, bis zu ihrer Vertreibung 1945 von Deutschen besiedelten Stadtteil Hessendorf. Schon bricht die Dämmerung herein. Eigentlich bin ich müde, doch der für die Balkanvölker üblichen Gastfreundschaft kann auch ich mich nicht entziehen. Erst zu später Stunde nehme ich mein Nachtlager.

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In Beograd und Batajnica

12.30 Uhr am nächsten Tag. Vorbei an unendlich scheinenden Feldern hat mich der Überlandbus zurück nach Beograd getragen. Jetzt stehe ich hier, in der Außenstelle der SRS, der Serbischen Radikalen Partei, wo ich mit den tschechischen Freunden zusammentreffe. Wir schmieden Pläne für die kommenden Stunden und teilen die gesamten Spenden in Höhe von 1865,- Euro auf die zu unterstützenden Familien und andere Projekte auf. Danach Spaziergang zum eigentlichen Hauptquartier der Partei, die noch bis vor zwei Jahren an der Regierung des Landes beteiligt war. In dem prächtig gestalteten Gebäude findet eine einstündige Konferenz mit dem Partei-Vize Zoran Krasić statt. Nach diesem interessanten Austausch über die unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Fragen, zwängen wir uns in das mit Hilfsgütern bis unters Dach vollgestopfte Auto, Marke Dacia. Unsere Fahrt endet vor einem Friedhof im Vorort Batajnica. In für mitteleuropäische Betrachter zufälliger Un- und Anordnung ziehen sich die Gräber mit den Abbildern der Verstorbenen weit hin. Doch wir suchen eine ganz bestimmte Stelle – das Grab der kleinen Milica Rakić. Am 17. April 1999 bei einem Bombenangriff der NATO-Agressoren durch ein Schrapnell ums Leben gekommen, steht dieses Mädchen heute symbolhaft für das durch das unrechtmäßige Eingreifen des Westens und dessen unmittelbaren wie mittelbaren Folgen entstandene Leid der Serben. Nahezu wie eine Heilige wird die kleine Milica Rakić dem entsprechend geehrt. Stumm schauen mich Ihre leuchtenden Augen an. Obwohl mein Herz wie wild schlägt, habe ich das Gefühl es bleibt stehen – wenigstens einige Sekunden lang. Hier wird der Tod und das Elend der zivilen Terrorbombardements greifbar. Das, was in meiner Heimat bis heute unmöglich ist, ist hier ganz nah. Wir legen Blumen nieder und halten einen Moment inne, bevor wir wieder ins Auto steigen und schweigend zurück in Richtung Beograd aufbrechen.

In einem großen Volkspark in unmittelbarer Nähe des Parlamentsgebäudes besuchen wir ein weiteres Mahnmal. In serbischer und englischer Sprache erinnert es an „…die Kinder, ermordet während der NATO-Agression 1999…“. Auch sie sollen nie vergessen sein! Gemeinsam mit den jungen Serben verbringen wir den Abend in einer der unzähligen Gastwirtschaften. Frauen und Männer in Trachten führen serbische Volkstänze vor, während Musiker mit Geige, Kontrabass, Gitarre und Akkordeon um die mit Touristen gefüllten Tische schunkeln. Es ist gegen Mitternacht, als wir das Auto zur Abfahrt vorbereiten und nach einem herzlichen Abschied in Richtung Kosovo aufbrechen. Wenig später schaukelt der Dacia monoton über die Autobahn. Den ganzen Tag waren wir unterwegs. Ohne zu ahnen was mich erwartet, fallen mir die Augen zu. Es ist 1.30 Uhr am Donnerstagmorgen.

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„This is Serbia!“

6.30 Uhr. Wir haben die Kontrollstelle am Grenzübergang erreicht. Eine lange Schlange LKWs wartet auf die Abfertigung. Die Passage erfolgt problemlos, gegen 7.00 Uhr sind wir durch. Sofort fallen mir die serbischen Nationalflaggen auf, die an nahezu jedem Lichtmasten, Häusern oder sonstigen dafür in Frage kommenden Orten aufgepflanzt sind. Ich werde sie später noch häufig sehen – überall wo noch Serben im Kosovo leben – in Ortschaften, Dörfern, Stadtteilen. Vorbei an einer großen Tafel mit der Aufschrift „This is Serbia!“ geht es in Richtung Kosovska Mitrovica, einer im wahrsten Sinne des Wortes geteilten Stadt. Während der Nordteil von Serben bewohnt ist, wie fast der gesamte nördliche Kosovo, leben auf der anderen Seite des Flusses Ibar die Kosovo-Albaner. Ich stehe auf einer Straße. Ein Erdwall verhindert die Weiterfahrt. Während über mir die serbische Flagge weht, sehe ich in einigen hundert Metern Entfernung Flaggen von Albanien und USA, nur selten die offizielle Flagge der Republik Kosovo. An einer Brücke patrouillieren hinter einem Blechzaun italienische Carabinieri, während im Hintergrund unübersehbar die Minarette einer großen Moschee in den Himmel ragen. In einer Teestube warten wir auf den Besitzer eines kleinen Ladengeschäftes, der uns bei der Vorbereitung der Schulmaterialien für die Kinder und Lebensmittel für die Familien behilflich ist. Ich zahle umgerechnet unglaubliche 42 Cent für meinen schwarzen Tee und trete wieder auf die Straße. Ich schaue mich um und entdecke große Wandmalereien mit Aufschriften wie „Kosovo ist Serbien, wie die Krim zu Russland gehört!“. Seit Jahrhunderten verbindet diese Nationen eine gemeinsame Geschichte. Ein anderes Graffiti „EULEX go home!“. Eine deutliche Botschaft, welche die Unerwünschtheit von EULEX – der Europäischen Rechtsstaatskommission zum Ausdruck bringt, die neben KFOR-Truppen, ausländischer und kosovarischer Polizei die Vorgänge im gesamten Land überwacht. Als die nötigen Vorbereitungen abgeschlossen und die gekauften Lebensmittel bezahlt sind, brechen wir auf zur ersten Hilfsmission.

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Familie Šapić

Wieder besteigen wir den Dacia. Unser Weg führt uns zu Familie Šapić im Dörfchen Banje. Wir passieren den KFOR-Kontrollpunkt in Kosovska Mitrovica. Militärjeep, Fahrzeugsperren aus Beton, Scheinwerfer und ein Schützenpanzerwagen gleiten an uns vorüber und geben unmissverständlich zu verstehen, dass in diesem Land so gar nichts in Ordnung ist. Abrupt sind auch die serbischen Fahnen verschwunden. Stattdessen wehen USA-Flaggen und die roten albanischen Banner mit ihrem schwarzen Doppelkopfadler. Manchmal auch Fahnen der BRD oder der Republik Kosovo. Vorbei an zerstörten Friedhöfen und unzähligen Denkmälern für die Kämpfer der albanischen Terror-Miliz UÇK, erreichen wir das Dorf. Die serbischen Ortsnamen auf den Straßenschildern sind übersprüht, abgekratzt oder sonst in irgend einer Art und Weise unkenntlich gemacht, als sollte alles Serbische für immer von diesem Stück Land getilgt werden! Die holprige Fahrbahn, eher einem befestigten Feldweg gleich, führt uns steile Berge hinauf zum letzten Haus der Straße. Noch nicht immer lebt Familie Šapić hier in Banje. Sie stammen ursprünglich aus Metochien, dem westlichen Teil des Kosovo. Ihr Heimatdorf wurde während des Kosovokrieges von albanischen Milizen vollständig zerstört und niedergebrannt. Das Haus vor welchem wir nun stehen ist klein aber neu, wodurch es sich von seiner Umgebung abhebt. Doch was sagt es aus über die Menschen die darin leben? Nur mit Geldern aus einem Hilfsfond, welche der Familienvater in das neue Heim investierte, war dessen Bau möglich gewesen. Das machte die Familie schnell zum Neidobjekt anderer Serben, während die im Dorf lebenden Albaner ihre Unterstützung anboten. Auch das gehört zu den Realitäten im Kosovo, vor denen man nicht die Augen verschließen darf.

Vor dem Haus empfängt uns eine in schwarz gekleidete Frau. Valentina Šapić trägt Trauer. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes vor wenigen Wochen, ist sie nun allein mit ihren vier Kindern. Drei Töchter im Alter von 7, 9 und 12 Jahren und ein 17 Jahre alter Sohn. Die Frau scheint hilflos und verzweifelt. Für das Begräbnis ihres Mannes, welcher der Hauptverdiener in der Familie war, fehlte das Geld. Nun drückt sie eine Schuldenlast von mehr als 700,- Euro. Eine riesige Summe, wenn man bedenkt, dass die Familie auf keinerlei soziale Absicherung zurückgreifen kann. Entsprechend schlecht sind die Aussichten für die nächsten Monate. Die derzeit einzige Hoffnung ruht auf dem ältesten Sohn, der das Gymnasium besucht und darauf, dass Valentina Šapić bald eine kleine Arbeit findet, um den Lebensunterhalt der Familie absichern zu können.

Sie bittet uns herein. In der kleinen, spärlich eingerichteten Wohnstube nehmen wir Platz. Während meine Gedanken noch um das Schicksal dieser Familie kreisen, nehme ich aus dem Augenwinkel wahr, wie die zierliche Frau in Windeseile einen wahren Berg unterschiedlichster Speisen serviert. Fleisch, Käse, Brot, Paprika, Krautwickel bedecken den kleinen Tisch, um den wir nun sitzen. Dazu Raki, der berühmte Anisschnaps, den man uns auf unserer weiteren Reise noch öfter als Zeichen der Gastfreundschaft anbieten wird. „Was sind das für Menschen“, denke ich, „die selbst kaum etwas besitzen und für Fremde soviel geben?“. Jan, unser serbischer Begleiter und gleichzeitig Übersetzer, spricht mit Frau Šapić. Sie erzählt uns von den täglichen Schwierigkeiten. Wir wiederum stellen Fragen. Zumindest die wenigen, die uns in dem Moment da dies alles auf uns einströmt, einfallen. Reihum wird alles übersetzt. Serbisch – Tschechisch – Englisch und zurück. Das hat sich schon gut eingespielt. Dann holen wir die Hilfsgüter aus dem Auto. Kleiderspenden, Schulmaterial für die vier Kinder, einen großen Karton voller Lebensmittel und als Höhepunkt eine größere Geldsumme zur Tilgung ihrer Schulden. Valentina Šapić´s tiefe Dankbarkeit ist spürbar, auch wenn sie den leichten Anflug von Unsicherheit nicht verbergen kann. Es ist für diese einfache Frau kaum vorstellbar, dass Menschen von so weit her sich überhaupt für das Schicksal der Serben im Kosovo interessieren. Wir treten vor das Haus. Aus einer Quelle am Berghang sprudelt Wasser und läuft in einem halb offenen Kanal über die Straße. Meine Frage, ob dies die Wasserversorgung für das Dorf ist, bejaht Valentina.

Wir verabschieden uns von der Familie, denn wir haben noch einiges vor. Nach einem weiteren Zwischenhalt in Kosovska Mitrovica, wo wir die Spenden für die Schulkinder in den ohnehin schon überfüllten Dacia laden, brechen wir auf in unsere Unterkunft. Diese liegt in dem kleinen Dorf Velica Hoca, welches wir am Abend nach dem Besuch eines alten Klosters erreichen. Der nächste Tag ist schon längst angebrochen, als die letzten Dinge besprochen, die letzten Notizen gemacht worden sind. Müde falle ich auf mein Nachtlager. Doch trotz aller Strapazen fällt es mir schwer Schlaf zu finden. Zu sehr bewegt mich das Erlebte.

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Das Kloster Visoki Dečani

Nach den Erlebnissen in Sremska Mitrovica und Beograd, dem Besuch des Grabes der kleinen Milica Rakić und unserer ersten Hilfsmission bei Familie Šapić in Banje stand nun ein neuer Tag bevor. Schon vor den anderen war ich aufgestanden, um mich ein wenig in dem kleinen Örtchen Velica Hoca umzusehen, das wir erst am vorigen Abend erreicht hatten. Für die nächsten Tage ist dieser Flecken nun unsere Heimstatt. Ich trete vor die Tür und atme die reine, klare Morgenluft. Es ist noch etwas frisch und die umliegenden Berge verstecken sich in einem Nebelschleier. Ich steige die Treppe hinunter und öffne das große eiserne Hoftor. Das Dorf scheint gerade erst zu erwachen. Die ersten Bauern knattern mit ihren Zweiradtraktoren über die Dorfstraße und vor vielen Häusern liegen große Berge mit Brennholz für den bevorstehenden Winter. Kinder gehen zur Schule, die ersten Menschen kaufen sich ihr Brot in dem kleinen Krämerladen an der Ecke. Viel Zeit habe ich nicht um mich weiter umzusehen, denn schon wenig später brechen wir zu einem Besuch im Kloster Visoki Dečani auf.

Wieder holpert der Dacia über die Landstraßen, auf denen bisweilen ein gemäßigtes Tempo angeraten ist. Freilaufende Kühe und riesige Schlaglöcher können dem Fahrer schnell zum Verhängnis werden. Wie schon auf dem Weg zu Familie Šapić fallen mir die Verkehrsschilder auf, von denen die Beschriftung in serbischer Sprache entfernt wurde. Wir erreichen Dečani, eine Hochburg des ehemaligen UÇK-Kommandanten Ramush Haradinaj. Nachdem Haradinaj bereits 2008 das erste Mal vor dem internationalen Strafgerichtshof freigesprochen wurde, rollte man das Verfahren wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Jahr 2010 erneut auf. Von zehn Zeugen verstarben neun auf mysteriöse Weise oder fielen gezielten Attentaten zum Opfer. Nachdem der letzte Zeuge seine Aussage zurückzog, wurde Ramush Haradinaj, der unter anderem für die Erschießung von Gefangenen, Verschleppung, Folter, Mord und Vertreibung von Zivilisten, sowie illegalen Organhandel verantwortlich gemacht wird, erneut freigesprochen. Die Tatsache, dass dieser Mann zwischen 2004 und 2005 zum Premierminister avancieren konnte, lässt Rückschlüsse auf die politischen Zustände im Kosovo zu. Bereits zu Zeiten des Kosovokrieges unterstützte die NATO unter anderem mit diverser Ausrüstung aktiv die UÇK-Milizen, die sich nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen in Polizei, Verwaltung oder politischen Parteien im Kosovo neu formierten.

Vorüber an mehreren UÇK-Denkmälern biegen wir in eine kleine Straße. Aus der Entfernung wächst ein KFOR-Posten in die Höhe. Noch größer als der, den wir bei unserer Abfahrt in Kosovska Mitrovica passiert hatten. Bis heute schützen italienische KFOR-Soldaten das Kloster vor möglichen Übergriffen extremistischer Albaner. Der letzte, ein Beschuss mit einer Panzerfaust, ereignete sich im Jahr 2007. Bevor wir das Kloster betreten können, das seit 2004 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt, müssen wir dem Wachposten unsere Pässe vorzeigen. Ein Vorgang, der bei vielen serbischen Kulturgütern im Kosovo bis heute gängiger Usus ist. Etliche Stätten, besonders historisch wertvolle Klöster und Kirchen, werden bis heute von Militär oder Polizei geschützt. Wir durchschreiten das riesige Tor, das, eingefasst in die mächtigen Mauern, den Zugang zu dem im 14. Jahrhundert errichteten Kloster bildet. Im Inneren erwartet uns ein Priester, der uns Geschichte und bauliche Besonderheiten der Anlage erläutert. In der Mitte, umgeben vom satten Grün einer Wiese, erhebt sich die Kirche. Sie ist Grabstätte von König Stefan Uroš III. Dečanski und birgt das letzte noch vollständig erhaltene Freskenensemble der byzantinischen Kunst. Nach der Heiligsprechung des Königs, wurde das Kloster schnell zu einer bedeutenden Wallfahrtsstätte, welche bereits vor Beginn des Kosovokrieges für Menschen aller Glaubensrichtungen offen stand. Es gilt heute als größtes mittelalterliches Gebäude Serbiens.

Nach diesem umfangreichen historischen Exkurs bittet uns der Priester in einen der Gemeinschaftsräume des Klosters, wo wir an großen, schweren Holztischen Platz nehmen. Er berichtet uns über das tägliche Leben im Kloster, über die Soldaten und über die Schwierigkeiten, von denen das Tagwerk der Geistlichen bis heute geprägt ist. Angefangen vom Landraub durch die Gemeinde bis hin zu den Problemen beim Erledigen der Einkäufe für das Kloster, welche nicht in Dečani erledigt werden können. Hierfür fahren die Priester in große Städte wie Priština oder die serbisch besiedelten Gebiete im Norden des Kosovo. Über eine Stunde unterhalten wir uns, bis es langsam Zeit zum Aufbrechen ist. Denn auch heute steht nicht nur Kultur, sondern auch die Fortsetzung unserer humanitären Hilfe auf der Agenda. Ein kleiner Zwischenhalt in Velica Hoca und schon sind wir, die Tüten mit Schulmaterial auf dem Schoß, unterwegs ins Städtchen Orahovac, wo wir von den Kindern der OŠ „Dositej Obradović“ bereits erwartet werden.

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Strahlende Kinderaugen

Auf den ersten Blick bietet sich ein trauriges Bild. Ein kleines, etwas heruntergekommen scheinendes Gebäude. Der obere Ring eines Plastikmülleimers dient als Basketballkorb. Bedrückend wirken die umstehenden Gebäude mit ihren in verschiedene Grautöne getauchten Fassaden. Und doch ist da ein Lichtstrahl inmitten all dieser Trostlosigkeit. Kleine Kinder, die sich, einen Kreis bildend, an ihren Händen fassen und uns singend begrüßen …„How are you? How do you do?“… Ich spüre wie sich mir die Kehle zuschnürt. Zu massiv sind all die Eindrücke, die in diesen Sekunden auf mich einströmen. Für einen kleinen Moment muss ich mich abwenden. Mein Freund Jiří reißt mich aus meinen Gedanken, „Komm, wir holen die Sachen!“. Plötzlich ist all die innere Anspannung verflogen. Kleine Kinderhände strecken sich nach Stofftieren, den Tüten mit Schulmaterial und kleinen Überraschungen. Ich nehme die ganze Situation tief in mir auf. Es fühlt sich gut an, verdammt gut. Gerührt betrachten einige Lehrer und Eltern die Szene. Die Freude in den strahlenden Augen der Kinder ist unbeschreiblich groß. Freude über ein paar Stifte, ein paar neue Schreibhefte. Dinge, die andernorts von Zeit zu Zeit achtlos in der Ecke, wenn nicht gar im Müll landen. Das macht nachdenklich. Doch zum Nachdenken habe ich jetzt keine Zeit. Gruppenfoto als beiderseitige Erinnerung und schon geht es weiter. Auch die Kinder der Oberstufe sollen ihre Päckchen bekommen. Mehrere Fuß- und Basketbälle zur sportlichen Betätigung werden überreicht.

Direktorin Susanna Milicevic, eine große starke Frau mit blonden Haaren, bittet uns herein. „Ist das wirklich die Schule?“, drängt sich mir unweigerlich der Gedanke auf. Ein schmaler Gang, von dem vier kleine Klassenzimmer, Toiletten, Rektorat und Lehrerzimmer abzweigen. Das Wasser wurde abgestellt. Ein kleiner Ofen, zwei Kochplatten, ein Ständer mit verschlissenen Landkarten der Republik Jugoslawien. Auf einem Kühlschrank steht eine Glocke. Zum Stundenklingeln wenn einmal wieder der Strom abgestellt wurde, so erklärt man uns. Das ist alles was in der Mitte des versetzten Ganges steht. Genau dort, wo er eine Art Aufenthaltsraum bildet. Den einzigen, den es außer den abzweigenden Räumen hier gibt. Vorsichtig öffne ich eine der stark mitgenommenen Türen zu einem der Klassenzimmer. Die Schulbänke haben ihre besten Zeiten schon längst hinter sich. Die Stühle sind verschlissen. Ich setze mich in die letzte Reihe und lasse den Blick die Wände entlang wandern. Langsam, ganz bewusst jedes Detail wahrnehmend. Die Wände sind kahl und kalt. Nur ein paar wenige Bilder schmücken sie. An der großen Wandtafel bleibt mein Blick haften. Sie ist stark abgenutzt, beschädigt, bereits aufgequollen. Beinahe automatisch steigen mir Gedanken an die eigene Grundschulzeit in den Kopf – Fetzen längst vergangener Tage. Etwas bedrückt verlasse ich den letzten Raum und stelle fest, dass sich in keinem der Zimmer eine der sonst üblichen Ikonen befindet. Nach meiner Rückkehr werde ich Mílan, den Priester aus Sremska Mitrovica bitten, der Schule vier der Bilder zu schicken.

An dem großen, mit Speisen üppig gedeckten Tisch im Lehrerzimmer nehmen wir Platz. Wie schon am Vortag haben auch hier die Menschen von dem Wenigen was sie haben noch das Letzte für uns hergegeben um uns ihren Dank für unser Kommen zum Ausdruck zu bringen. Die Anwesenheit der schwarzhaarigen Englischlehrerin Johanna ist angenehm, denn es macht die Unterhaltung ein wenig einfacher. Begleitet wird unser Besuch auch von Olivera Radić, einer Journalistin, die schon kurz darauf über unsere Hilfsmission berichten wird.

Direktorin Milicevic erzählt uns aus der Geschichte der Schule, die in dieser Form erst seit 1999 existiert, nachdem die serbische Bevölkerung von Orahovac in den auf einer Anhöhe gelegenen Stadtteil flüchten musste. Die offizielle serbische Schule mit damals bis zu 250 Kindern wurde geschlossen. Die heutige Einrichtung hingegen beherbergt lediglich nur noch 41 Kinder. Während die Schüler der Oberstufe von morgens bis ca. dreizehn oder vierzehn Uhr die Schule besuchen, kommen die Kinder der Grundstufe gewissermaßen im Wechsel bis etwa achtzehn Uhr zum Unterricht. Dieses System hatten wir bereits während unseres Besuches bei Familie Šapić in Banje beobachten können. Fünf Lehrer sorgen unter denkbar schwierigen Bedingungen für die schulische Ausbildung der Kinder, wobei nach wie vor nach serbischem Lehrplan unterrichtet wird. Geld für anfallende Renovierungsarbeiten, so erklärt Susanna Milicevic auf Nachfrage, würde der Schule jedoch nicht zur Verfügung gestellt. Ich wende mich Johanna zu und bitte sie, den Hausmeister zu fragen, was er für seine Arbeit hier in der Schule am dringendsten benötigt. Nach all dem, was ich gesehen habe, denke ich zuerst an Baumaterial, neue Türen, Rigipsplatten oder dergleichen. Johanna übersetzt. Die Antwort, welche etwas zögerlich und erst auf mein freundliches Bitten hin erfolgt, erstaunt mich sehr: Eine Bohrmaschine! „Das ist doch Wahnsinn…“, denke ich etwas erschrocken, während Johanna uns erklärt, es sei völlig unbedeutend, in welcher Größenordnung sich unsere Hilfe bewegt. Dass das Schicksal der Serben im Kosovo nicht vergessen wird, dass Menschen sie besuchen, eben so wie wir an diesem Nachmittag, allein das sei ein großes Glück.

Die Dunkelheit ist schon längst hereingebrochen, als sich der Abend dem Ende neigt. Ein letztes gemeinsames Foto und wir treten auf die Straße vor dem Haus, wo auch der Sportunterricht für die Kinder stattfindet. Zwar hatte die Schule von ihrem wenigen Geld einen privaten Spielplatz gemietet, der jedoch von albanischen Jugendlichen besetzt wurde. Somit sei der Unterricht an dieser Stelle dann nicht mehr möglich gewesen, erklärt Frau Milicevic abschließend. Mit herzlichen Umarmungen und dem Versprechen in Kontakt zu bleiben, verabschieden wir uns. Während der Dacia wieder langsam zurück nach Velica Hoca poltert, fasse ich den Entschluss, das Projekt der Europäischen Solidaritätsfront für Kosovo (ESFK) auch weiterhin aktiv zu unterstützen.

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Fortsetzung folgt…

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