Vom 07. bis zum 11. September 2015 reisten wir erneut nach Kosovo und Metochien, um die dort lebenden Serben nach den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu unterstützen. Neben vielen neuen Eindrücken und Erfahrungen trafen wir dabei auch die Menschen wieder, deren Schicksal sich im vergangenen Jahr auf so wunderbare Weise für immer mit unserem Leben verbunden hat…
Es ist Freitagabend. Längst schon hat sich die Sonne hinter den großen Wohnblöcken versteckt, die wie Zinnen einer neuzeitlichen Festung in das fahle Licht der heraufziehenden Nacht ragen. Auf dem nackten Beton, der die Wärme der letzten Spätsommertage abstrahlt, stapeln sich Kisten, Kartons und Säcke mit Kleidung, Plüschtieren, Schulmaterial, Werkzeug und Spielsachen. Obwohl jeder von uns um die innere Anspannung und Aufregung der anderen weiß, versuchen wir uns gegenseitig das Gefühl innerer Ruhe zu vermitteln, wenigstens so gut es eben geht. Bald schon sind sämtliche Hilfsgüter in unseren Wagen verstaut. Eine letzte Umarmung, ein Abschiedskuss und schon nehmen wir die erste, etwas mehr als 1000 Kilometer lange Etappe in Angriff. Schneller als erwartet gleiten die Stationen unserer Reise an uns vorüber. Prag. Brünn. Gegen 1:50 Uhr erreichen wir bereits die Slowakei, gute zwei Stunden später Ungarn. Nach einer nötigen Rast kurz hinter Budapest passieren wir am Sonnabendmorgen, Punkt 8:39 Uhr, die ungarisch-serbische Grenze. Gute zwei Stunden später erreichen wir Sremska Mitrovica.
Sremska Mitrovica und Beograd
Hier, in der alten römischen Kaiser- und Provinzhauptstadt Sirmium treffen wir alte Freunde und Bekannte wie Dušan, Priester Miljan und den Journalisten Stevo Lapčević wieder. Sie alle sind uns bei unserem Vorhaben eine große Hilfe und haben einen entsprechenden Anteil am Gelingen der Mission. Stevo, der später in der Zeitung Sremske Novine über unseren Einsatz berichten wird, ist mittlerweile Träger des Djoko Vještica – Preises für journalistische Humanität. Nur die sieben besten Journalisten des Landes erhalten die jährliche Auszeichnung des Journalistenverbandes Serbiens. Zu ihnen zählt nun auch Stevo, der den nach dem bekannten serbischen Journalisten benannten Preis für sein Engagement zugunsten einer mittellosen, fünfköpfigen Familie erhalten hat. Durch seine Arbeit und die von ihm 2014 ins Leben gerufene Kampagne, konnten der Familie zunächst benötigte Kleidung und Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden. Später gelang es Stevo, dank vieler Spender, der Familie ein neues Zuhause zu schaffen, die bisher in zwei Zimmern ohne Strom und Sanitäreinrichtung leben musste. Das Haus wurde im Dezember 2015 eingeweiht.
Auch sonst sind unsere ersten Stunden in Serbien voller neuer Eindrücke. So dürfen wir in der Kirche von Priester Miljan in der kleinen Gemeinde Šašinci einer traditionellen serbischen Hochzeit beiwohnen. Die 1769 errichtete Kirche der Herabkunft des Heiligen Geistes wurde in den letzten beiden Weltkriegen zerstört und erstrahlt heute in neuem, atemberaubendem Glanz.
Am Mittag des nächsten Tages brechen wir in Richtung Beograd auf. Auf dem Avala-Berg treffen wir, nach der Besichtigung des 1938 errichteten Denkmals des unbekannten Soldaten, auch mit dem Rest unserer Mannschaft zusammen. Am Fuße des im April 2010 wiedereröffneten Fernsehturmes erwarten uns bereits die syrische Aktivistin Rima und ihr Mann Ruben. Gemeinsam genießen wir die Aussicht von der Besucherplattform in gut 120 Metern Höhe. Hier treffen wir auch Dejan, den Sohn von Familie Šapić aus dem Dörfchen Banje. Seine Familie wird die erste Station auf unserer Reise durch Kosovo und Metochien sein.
Den Abend verbringen wir gemeinsam mit unseren serbischen Freunden. Als letzter stößt dabei der 20jährige Student der Rechtswissenschaften Darko zu uns. Er wird in den kommenden Tagen unser Übersetzer sein. Für ihn, wie auch für einige von uns, ist es die erste Reise nach Kosovo und Metochien. Entsprechend hoch ist auch seine Aufregung vor der ersten Konfrontation mit der Realität des Lebens seiner Landsleute in der südlichen Provinz. Nun ist unsere Mannschaft aus Italien, Spanien, Deutschland, Syrien, Belgien und Serbien komplett. Gegen Mitternacht besteigen wir unsere Fahrzeuge und machen uns auf den Weg. Nach reibungsloser Grenzpassage treffen wir am Morgen des 07. September in Kosovska Mitrovica ein. In der vom Fluss Ibar geteilten Stadt, treffen wir Ladenbesitzer Dobrosav Dobrić. Der Abgeordnete und Vizepräsident der Provisorischen Versammlung der Autonomen Provinz Kosovo und Metochien, ist uns bei einigen Besorgungen behilflich. Gemeinsam streifen wir durch die Gassen der Stadt. Am so genannten Friedenspark, an der Brücke über den Ibar, hat sich einiges getan, doch noch immer ist die Flussquerung für den Verkehr gesperrt. KFOR-Einheiten wachen allerorten über die Sicherheit. Ansonsten vermitteln zerstörte Sportplätze und graue Fassaden ein eher tristes und beklemmendes Gefühl. Bald schon lassen wir Mitrovica zurück und befinden uns auf dem Weg zu Familie Šapić.
Große Hilfe für Familie Šapić
Langsam quält sich der Minibus die enge Dorfstraße hinauf, die eher einem befestigten Feldweg gleicht. Etwas misstrauisch mustert uns auch das Vieh am Straßenrand, das neugierig seine Köpfe nach uns zu strecken scheint. Am Ende der Straße wartet bereits Mutter Valentina auf unsere Ankunft. Die Begrüßung ist herzlich, sind wir doch seit unserer ersten Begegnung im vergangenen Jahr in ständigem Kontakt und Austausch. So wissen wir auch um die Situation dieser Familie, deren Alltag sich nach dem plötzlichen Tod des Vaters im Herbst 2014 drastisch verschlechtert hat. Entsprechend zielgerichtet kann daher auch unsere Hilfe erfolgen. Umgehend bittet uns Valentina in das kleine Haus, in dem auch die jüngsten Töchter Katarina und Milica auf uns warten. Nach dem herzlichen Begrüßungsritual mit Saft und traditionellem Šljivovica überreichen unsere italienischen Freunde die mitgebrachten und dringend benötigten Dinge. So sind wir dank der eingesammelten Spenden in der Lage, jedem der vier Kinder eine neue Schultasche zur Verfügung zu stellen, von denen jede einzelne natürlich mit allerlei nützlichen Utensilien für den Schulalltag gefüllt ist. Die Freude, mit welcher die Kinder die Malfarben, Buntstifte, Schreibhefte und einiges mehr genauestens untersuchen, erwärmt unsere Herzen. Die für den Unterricht benötigten Schulbücher jedoch, müssen für jedes neue Schuljahr von den Eltern gekauft werden. Im Fall von Familie Šapić mit ihren 4 Kindern bedeutet dies einen finanziellen Aufwand von gut 500,- Euro. Zum Vergleich: das durchschnittliche Einkommen betrug laut Angaben der Regierung 3.084,- Euro für das Jahr 2014, was einen Monatsverdienst von 257,- Euro bedeutet. Mit der Übernahme der Kosten für die Schulbücher können wir Mutter Valentina also zusätzlich ein wenig der Last nehmen, welche sie für ihr eigenes Überleben und das ihrer Kinder zu tragen hat. Bei Gesprächen über die Situation der Familie, aber auch dem Austausch mit den Kindern und Berichten aus unseren Herkunftsländern vergeht die Zeit wie im Flug.
Bald werden wir nach draußen gebeten, wo eine reich gedeckte Tafel mit einheimischen Speisen auf uns wartet. Die herzliche Art, mit welcher uns diese Menschen ihren Dank zum Ausdruck bringen, macht uns sprachlos. Während wir die unendlich scheinende Gastfreundschaft genießen, müssen Katarina und Milica den Weg zur Schule antreten. Stolz tragen sie ihre neuen Schultaschen, was uns allen ein Lächeln auf die Gesichter zaubert. Und auch Jovana, die älteste der drei Schwestern, die eben aus der Schule nach Hause gekommen ist, erhält nun ihre neue Schultasche. Die Sachen für Sohn Dejan, den wir bereits am Tag zuvor in Beograd getroffen hatten, übergeben wir Valentina. Schon ist die Zeit des Abschieds gekommen und nach einem Erinnerungsfoto poltern unsere Wagen wieder die enge Dorfstraße hinunter in Richtung Kosovska Mitrovica. Von dort aus begeben wir uns nach letzten Besorgungen in unsere Unterkunft, die abermals im malerischen Weindörfchen Velika Hoca liegt. Hier lassen wir den Abend, nach arbeitsreicher Vorbereitung für die kommenden Tage, ausklingen.
Wiedersehen in Orahovac
Ein neuer Tag bricht an. Schon früh am Morgen haben wir uns mit Slavoljub Grković aus Orahovac verabredet, der uns später zurück in seine Heimatstadt begleitet. Die in Orahovac verbliebenen Serben, deren Gemeinschaft von ehemals bis zu 7.000 heute nur noch etwa 350 Menschen umfasst, leben unter denkbar schwierigen Bedingungen. Hier, in der nur noch wenige Straßenzüge großen Siedlung, die immer wieder Ziel von Bedrohungen und Übergriffen ist, arbeitet Slaviša, wie ihn seine Freunde nennen, als Hausmeister in der Schule „Dositej Obradović“. Für seine Tätigkeit ist Slaviša auf Hilfe angewiesen, denn Geld für Reparaturarbeiten oder gar Werkzeug steht der Schule nicht zur Verfügung. Und so führt unser erster Weg an diesem Tag in den albanischen Teil der Stadt, wo wir in einem entsprechenden Geschäft unseren Freund alle benötigten Dinge zusammentragen lassen. Am Ende ist es Werkzeug im Wert von 344,- Euro. Der Ladenbesitzer, so erklärt uns Slaviša, sei ein Freund. Und es dauert auch nicht lange, bis uns der junge Albaner in gebrochenem Deutsch zu Tee und Kaffee einlädt. Gern nehmen wir das Angebot an. Im Straßencafé nebenan entwickelt sich schnell ein intensives Gespräch über vielerlei Dinge, aber auch die gegenwärtige Situation in Kosovo und Metochien. Dabei wird deutlich, dass aufgrund der aktuellen Politik, sowie dem Treiben extremistischer Fanatiker, welche durch Anschläge auf serbische Siedlungen und religiöse Stätten immer wieder die Beziehungen zwischen den im Kosovo lebenden Volksgruppen vergiften, der Traum von einem friedlichen Leben auf absehbare Zeit wohl auch weiterhin ein Wunschtraum bleiben wird.
Nach dieser aufschlussreichen Erfahrung begeben wir uns zurück in Richtung Schule. Hier ist er geboren, der Entschluss das Projekt ESFK auch von Deutschland aus zu unterstützen. Entsprechend emotional ist auch die Wiederkehr an diesen Ort. Es ist noch Zeit bis zum verabredeten Treffen um 13:00 Uhr und so führt uns Priester Velja Stojković in seine Kirche, die der Entschlafung der Heiligen Jungfrau geweiht ist. Still nehmen wir die unbeschreibliche Atmosphäre in uns auf und entzünden Kerzen für die Lebenden und die Toten. Was wir in diesen Momenten nicht ahnen: bereits kurz nach unserer Heimkehr wird die Kirche Ziel eines weiteren Übergriffes sein. Die verbliebene Zeit bittet uns Slaviša in sein Haus, wo wir bereits von seiner Frau Dušica und den Söhnen Stefan, Lazar und Uroš erwartet werden. Während uns Dušica mit Saft, Kaffee und Rakija bewirtet, begeben sich die Kinder nach erstem neugierigen Staunen über die vielen Fremden wieder nach draußen. Dort, wo Slaviša den alten Ring eines Plastikmülleimers durch einen von uns gespendeten Basketballkorb ersetzt hat, spielen unsere italienischen und spanischen Freunde Elena, Rodrigo, Emanuelle und Matteo die restliche Zeit mit den Kindern herunter. All das ereignet sich auf nur wenigen hundert Quadratmetern, in den letzten den Serben von Orahovac verbliebenen Straßen.
Endlich ist es soweit. Vor der Schule versammelt stehen die nicht einmal 50 Kinder der Grund- und Oberstufe mit ihren Lehrern. Gemeinsam holen wir die vorbereiteten Taschen aus dem Auto. Auch Ikonen für die restlichen Klassenzimmer haben wir dabei. Bereits nach unserer Reise im vergangenen Jahr stifteten wir einige der Heiligenbilder, da sie in den Klassenräumen der Kinder fehlten. Nach einer kurzen Ansprache, in der wir unserer Freude über das Wiedersehen Ausdruck verleihen und die unser junger Begleiter Darko für Kinder und Lehrer übersetzt, werden zunächst die Ikonen überreicht. Es folgen die gepackten Tüten für die Kinder, welche die Geschenke mit strahlenden Augen entgegen nehmen. Selbst ein Jahr nach unserem letzten Besuch sind wir aufs Neue tief berührt von der Bescheidenheit, der Freude über die einfachsten Dinge wie neue Schreibhefte, Stifte oder Malkästen. Ein krasser Gegensatz zur materialistischen Überflussgesellschaft westlicher Prägung. Um uns herum herrscht Trubel und große Heiterkeit und manch einem stehen die Tränen in den Augen. Bald nach einem gemeinsamen Erinnerungsfoto kehrt wieder Ruhe ein. Einige der Kinder eilen in ihre Klassenräume zurück, wo umgehend die mitgebrachten Ikonen angebracht werden. Auch wir betreten jetzt die Schule, in der sich nur wenig verändert hat. Hier übergeben wir nun die Dinge, welche wir nach Rücksprache mit Direktorin Suzana Milićević mitgebracht haben. So werden für den täglichen Schulbetrieb vor allem große Mengen Kopierpapier und Tafelkreide, aber auch Schreibhefte für die Kinder benötigt. Einen Beamer-Projektor werden wir der Schule nach unserer Rückkehr von Deutschland aus schicken. Das Gerät wird zukünftig die Möglichkeiten des Lehrerkollektivs bei der Ausgestaltung des Unterrichts und der Freizeitgestaltung der Kinder erweitern. Auch weiteres Werkzeug für Slaviša und zwei Fußbälle haben wir dabei. Denn diese verschleißen schnell auf dem Straßenbelag vor der Schule, dem einzigen Platz wo die Kinder sicher spielen können.
Im Lehrerzimmer, wo wir in großer Runde einmal mehr ebenso reichlich wie köstlich bewirtet werden, verbringen wir den Abend bei vielen Gesprächen und gegenseitigen Interviews. So wird später auch die Wochenzeitung Jedinstvo über unseren Besuch berichten. Tief bewegt sind wir von den Schilderungen und Erzählungen der jungen Englischlehrerin Ljiljana Stajić-Vasić, über das Leben der Serben in ihrem heiligen Land Kosovo und Metochien. Dabei wird einmal mehr deutlich, was es diesen Menschen bedeutet, nicht vergessen zu werden. Oft schon betonten Eltern und Lehrer, dass die materielle Unterstützung weit hinter der Tatsache zurücksteht, dass Menschen wie wir in Mittel- und Westeuropa über das Schicksal der Serben im Kosovo berichten. Erst in Momenten wie diesem, in denen Ljiljana unter Tränen von den Leiden im Krieg und den zum Teil massiven Problemen im Hier und Jetzt berichtet, wird uns die Tragweite dieser Aussage in vollem Umfang bewusst. Noch bis in den späten Abend sitzen wir beisammen, scherzen und lachen und stillen in vielerlei Gesprächen unseren beiderseitigen Wissensdurst.
Fortsetzung folgt…
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